Verlaufsbericht: „100 Jahre Weimarer Republik – 80 Jahre Reichspogromnacht“ Vortragsabend der Polizeiinspektion Hameln-Pyrmont/Holzminden zur Rolle der Polizei in Demokratie und Diktatur

Anlässlich des 100. Jahrestages der Gründung der Weimarer Republik und des 80. Jahrestages der Reichspogromnacht fand im Münster Hameln eine Gedenk- und Vortragsveranstaltung auf Einladung der Polizei und weiterer Gruppen/Organisationen statt. Mit gut 150 Personen quer durch alle Altersgruppen und Institutionen war das Hamelner Münster ein gut besuchter, außergewöhnlicher Veranstaltungsort. Politiker, Schüler, Feuerwehrleute, Polizisten, Vertreter verschiedener Verwaltungen, Senioren und auch polizeikritisch eingestellten Menschen waren erschienen. Sie konnten sich in gut zwei Stunden ein Bild von den gesellschaftlichen Zusammenhängen in den unterschiedlichsten Facetten unserer Geschichte machen. Ein Schwerpunkt bildete dabei die Geschichte und Rolle der Polizei. Nachfolgend Auszüge aus den Redebeiträgen:

Begrüßung, Superintendent Phillip Meyer:
„Was Menschen anderen Menschen angetan haben, in diesem Land, vor gar nicht langer Zeit, 80 Jahre, ein Menschenleben, wir wollen uns erinnern.“


Der Hass, die Gewalt die spürbar geworden sind zeige, dass hier der Ursprung für die späteren Verbrechen gelegen hat. Weil Menschen, die vorher unbescholten in ihrer Gesellschaft gewirkt haben, plötzlich selbst zu Tätern wurden. Weil sie plötzlich ihren Impulsen freien Lauf ließen. Synagogen anzündeten, weil sie Menschen schlugen, folterten und ermordeten. Menschen, denen man das nicht vorher angesehen hat und denen man es nicht zugetraut hätte. Es gibt heute wieder Tendenzen, den Hass auf andere Menschen salonfähig zu machen. Es ist ganz wichtig, dass wir uns davon abwenden, dass wir entschieden sagen: „Nein, das darf nicht sein!“ Darauf kommt es an, dass wir uns wehren, dass wir nein sagen, dass wir aufstehen gegen Gewalt und Verachtung. Wenn der heutige Abend beitragen kann, dass das möglich wird, dann ist dieser Abend ein Erfolg.

Auszüge aus dem Grußwort des Schirmherrn der Veranstaltung, Carsten Rose:

Geschichtserforschung und Erinnerung habe in der Polizei einen besonderen Stellenwert, welches die organisatorische Anbindung des Polizeimuseums Niedersachsen an die Polizeiakademie unterstreiche.
„Wir führen mit unseren Polizeistudenten und /-innen einen kritischen Diskurs über Beteiligung, Rolle und Funktion der Polizei im Nationalsozialismus neu jetzt auch neu in der Zeit der Weimarer Republik. Mit der Ausstellung „Freunde, Helfer, Straßenkämpfer – Die Polizei in der Weimarer Republik“ wird die Aufbauleistung und Transformation hin zu einer demokratischeren Polizei in der ersten deutschen Republik untersucht.“


Der Leiter der Polizeiakademie Niedersachsen, dem die Verantwortung für die Ausbildung der heutigen Polizistinnen und Polizisten obliegt, umriss die Ansprüche, die an heutige Polizeibeamte gestellt werden.
Das wissenschaftliche Studium in der Polizei bedeute auch Relativität von Wissen, Kritik statt Dogma. Die Studierenden würden zu handelnden Beamten qualifiziert, die verantwortungsvoll, rechtlich richtig, taktisch einwandfrei, sozial angemessen und auf der Basis einer ethischen und moralischen Entscheidungskompetenz für unsere freiheitliche demokratische Grundordnung eintreten sollen.
„Wer ein guter Polizist sein will, muss Menschen mögen! Bürgernah und bürgerfreundlich, das ist unsere Prämisse. Unser wichtigstes und bestes Führungs- und Einsatzmittel ist das Wort, ist die Kommunikation. Es liegt im besonderen Interesse der niedersächsischen Polizei, durch Offenheit, Dialogbereitschaft und Transparenz Vertrauen in unser Handeln und die Akzeptanz für unsere Maßnahmen zu erreichen.“ Carsten Rose betonte aber auch, dass die Studenten genauso lernen, in Einsatzsituationen, als entscheidende Stärken, Durchsetzungskraft und Robustheit zu zeigen. Man verstecke sich nicht, sondern trete ein für Demokratie, Freiheit, Gerechtigkeit und Sicherheit.
Einzig der Polizei obliege das Gewaltmonopol, keiner sog. Bürgerwehr, keinem hetzenden Mob auf der Straße.

 

Vortrag von Dr. Dirk Götting, Polizeiakademie Niedersachsen.

Die Polizei zwischen Reform und Holocaust und das Scheitern der Weimarer Republik.

In einer knappen Stunde erläuterte der niedersächsische Polizeihistoriker Dr. Götting die Zusammenhänge von Kaiserreich und Weimarer Republik sowie die nachfolgenden Ereignisse bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges.

Zunächst gab es einen politischen Überblick über Zusammenhänge und Veränderungen, weg von der Monarchie, hin zur maximal freiheitlichen ersten deutschen Republik. Was das heute oft gebrauchte Schlagwort von den „Weimarer Verhältnissen“ tatsächlich bedeutet, wurde sehr anschaulich erklärt.

Als nächstes erläuterte Dr. Götting den Wandel in der Polizei vom Kaiserreich zur Demokratie, von einer autoritären, eher bürgerfeindlichen/obrigkeitsorientierten Polizei, hin zum „Freund und Helfer“. So nämlich lautete das neue Image der Polizei in der Weimarer Republik. Die inneren Reformen gingen oftmals von den einfachen Wachtmeistern aus und mussten gegengenüber vielen im militärischen Hierarchiedenken verkrusteten Führungsoffizieren durchgekämpft werden. Die Instrumente dazu gab die Republik. Es wurden unabhängige Gewerkschaften zugelassen und -wohl einmalig in Europa – mit den Beamtenausschüssen die heutigen Personalvertretungen institutionell als Mitbestimmungsgremien eingerichtet. Innerhalb kürzester Zeit ergaben sich so enorme Veränderungen im Berufsbild und auch in den Ausbildungsansprüchen einer Republikpolizei.

Ab 1930 begann, so Dr. Götting, die Demokratiedämmerung der 1. Republik. Mit dem Kabinett der Barone 1932 gab es keine parlamentarische Legitimität der Reichsregierung mehr. Die Erosion der Republik begann in den Ländern. Braunschweig war eines der ersten Länder, in denen die Nationalsozialisten legal an die Macht kamen. Damit bekamen sie über das Innenministerium Zugriff auf die Polizei. Es wurde die Blaupause für eine Machtübernahme gelegt. Hier wurde geübt, wie man eine republikanische Polizei zu einer nationalsozialistischen Polizei formt.

1932 setzte sich die Krise immer weiter fort. Im Mai wählte jeder zweite wahlberechtigte Oldenburger die Nazis.

Götting erklärte anschaulich die Mechanismen, die die Nationalsozialisten benutzten, die Polizei zu übernehmen. Er beschrieb das Schicksal von Einzelpersonen in der Polizei, bis hin zu den Massenzahlen der Ermordungen im Zweiten Weltkrieg im Rahmen des so genannten „Bandenkampfes“.  Was das bedeutete, wurde im Detail in Zahlen und Statistiken erfasst. Nach Göttings Meinung hatten „99% der Opfer der Nationalsozialisten absolut nichts getan, außer dass sie zur falschen Zeit am falschen Ort waren“.

Der Umgang mit so einer Geschichte ist für die Polizei absolut nicht einfach. Dass mittlerweile die NS-Vergangenheit als „Vogelschiss“ in der erfolgreichen deutschen Geschichte dargestellt wird, regte den Historiker sichtlich auf. Für die Polizei sei die NS-Zeit und ihre eigene Geschichte kein „Vogelschiss“, sondern eher ein Trauma, so Götting weiter. Doch wie soll man als Institution Polizei mit so einem Trauma umgehen? Verdrängen, wie lange Zeit praktiziert, sei nicht der Weg zur Bewältigung. Götting betonte, dass wir als Polizei uns dieser Geschichte stellen müssen. Objektiv und offen damit umzugehen versuchen. Dazu gehöre auch, dass man sich hinter die Opfer stelle. Was, so fragte Götting, wolle man eigentlich, wenn man eine erinnerungspolitische Wende um 180 Grad verlange? Wolle man wieder Sedanfeiern abhalten? Des Sieges über Frankreich 1940 gedenken? Oder gar Helden und Krieger ehren?

Dr. Dirk Göttings Vortrag endete mit einem Zitat und einer Aufforderung:

„Die Weimarer Republik ist letztlich nicht daran gescheitert, dass zu früh zu viele Nazis, sondern dass zu lange zu wenige Demokraten vorhanden waren.“  Richard von Weizsäcker

„Das heißt, wenn uns dieser Staat, wenn uns die freiheitliche Demokratie wichtig ist, dann müssen wir dazu stehen. Dann müssen wir Gesicht zeigen, und ich würde Sie bitten, dazu zu stehen.“

 

Bernhard Gelderblom

Hameln zwischen den Jahren 1918 und 1938

„1918, Hameln war eine 20.000 Einwohner Stadt, damals mehrheitlich konservativ. Eine Beamtenstadt, eine Garnisonsstadt. So blieb es auch in der Weimarer Zeit. Die Veränderungen durch die Novemberrevolution hatten in Hameln keinerlei Auswirkungen. Die obersten Verwaltungsbeamten blieben dieselben. Unruhen gab es in Hameln nicht. Aus Sorge darüber, dass die Umwälzungen in Berlin, Kiel und anderswo Folgen für Hameln haben könnten, gründete der Rat 1919 gegen die Stimmen der SPD eine Bürgerwehr.“

Mit diesen Sätzen begann der Hamelner Historiker Bernhard Gelderblom seinen Einblick in die historischen Ereignisse der Weimarer Republik aus lokaler Sicht. In den dann folgenden 30 Minuten entwickelte sich ein detailreicher Einblick im Handeln und Wirken der Polizei wie auch anderer Akteure in der Stadt. Anhand vieler konkreter Beispiele, von Straßenkämpfen wie auch politischen Verwicklungen, Anklagen und Wegsehen wurde die Zeit verständlich.  Gelderblom beschrieb Schicksale von Opfern wie das Handeln von Tätern und bringt allgemeine Daten und Fakten zur Polizeistärke und Ausrüstung aus den Archiven ans Tageslicht.

Bedrückend die Schilderungen des Mitlaufens der Meisten. Neu aber auch, dass zumindest zwei Polizeibeamte von den Nationalsozialisten nach ihrer Machtübernahme entlassen wurden.  Die von Bernhard Gelderblom zusammengetragenen Informationen bieten Ansatzpunkte für eine Vielzahl von Recherchen. So verblüfft z.B. die Ablösung des Hamelner Polizeichefs noch im Januar 1932, als dessen Beamte aufgrund eines übelst hetzerischen Flugblattes der Nationalsozialisten nicht handelte. Die Polizei bekommt mit Walter Tuthast eine neue Führung, der bis dahin eine deutliche Distanz zur NSDAP gezeigt hatte.

Was aus dem Polizeioberwachtmeister Döhring, dessen Schicksal es war, in Schutzhaft genommen zu werden, damit er nicht als Leiche endet, ist derzeit noch nicht bekannt. Polizeihauptwachtmeister Hage wurde sofort vom Dienst beurlaubt.

Tragisch auch das Schicksal des Friseurs Fritz Jahn. Der Vater von vier Kindern war tot in der Hamelner Schleuse aufgefunden worden. Das ehemaliger SPD Mitglied wurde vermutlich von SA Männern in einen Hinterhalt gelockt und ermordet.  Für Fritz Jahn wurde in Hameln ein Stolperstein zur Erinnerung gesetzt.

Dankes- und Schlussworte der Leiterin Einsatz der Polizeiinspektion, Maren Jäschke

„Nur wer die Vergangenheit kennt und sich mit ihr auseinandersetzt, kann daraus lernen für Gegenwart und Zukunft.“

Polizeioberrätin Maren Jäschke sprach in Vertretung für den Inspektionsleiter Ralf Leopold das Schlusswort mit dem ausdrücklichen Dank an alle Referenten und unterstützenden Organisationen. Besonders wichtig war ihr der Dank an die Münstergemeinde, die die Veranstaltung an dieser historischen und würdevollen Stätte ermöglicht hatte. Die Zuhörer lud sie zum Gespräch mit den Vortragenden ein. Als Kollekte am Ausgang würde zu Spenden für die ev. Jugendarbeit im Weserbergland aufgerufen.

Ausrichter/Einladende waren die Polizeiinspektion Hameln-Pyrmont / Holzminden gemeinsam mit der Münstergemeinde Hameln, der Gewerkschaft der Polizei (GdP), dem Verein für Regional Kultur- und Zeitgeschichte Hameln e.V., sowie dem Förderkreis für Polizeigeschichte Niedersachsen e.V.

Weitere Informationen im Internet auch unter: www.republikpolizei.de

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